Ein Rückblick auf eine Woche voller Steilvorlagen für gute Vorsätze zur Nutzerorientierung
Die vergangene Woche hielt einige Überraschungen und interessante Veranstaltungen und Positionen bereit – jede für sich genommen, aber auch, wenn man sie in einen Zusammenhang stellt, und zwar die Frage danach, wie Bibliotheken es schaffen, ihre Dienste konsequent an der Frage auszurichten, wie diese ihren Nutzenden am besten helfen.
In der letzten Woche machte die Nachricht die Runde, dass Swissbib zum Jahresende eingestellt wird – ein Discovery-System der schweizerischen Bibliotheken auf Basis von vuFind, dessen Macher*innen sich mit innovativen Ideen, u.a. zum Umgang mit Linked Data, in die entsprechende Community eingebracht haben. Swissbib muss einer neuen Swiss Library Service Platform auf Basis von Alma weichen, an der aber offenbar längst nicht alle derzeit in Swissbib vertretenen Bibliotheken teilnehmen (können). Swissbib wird fehlen, zumal die neue Plattform auch noch nicht alle Funktionen haben wird und es unklar ist, wann Ex Libris diese bereitstellen wird. Eine bibliothekspolitische Entscheidung, die zunächst erst einmal wenigstens für Bibliotheksnutzer*innen nachteilig sein wird.
Ebenfalls in der letzten Woche trafen sich Bibliothekar*innen zur Weltkonferenz der Open Library Foundation, unter deren Dach neben vuFind auch Folio, das künftige Bibliotheksmanagement-System der GBV- und vieler anderer deutscher Bibliotheken entwickelt wird, dessen Geschäfts- und Entwicklungsmodell den Bibliotheken mehr Konktrolle über die eigenen Software-Lösungen verspricht. Auch wenn von der Konferenz aus der Ferne nicht viel Inhaltliches zu erhaschen war: Im Lichte der Nachricht aus der Schweiz und überhaupt ist es gut zu wissen, dass die Folio-Gemeinde zufrieden und glücklich wirkt – und im nächsten Jahr in Hamburg zu Gast sein wird, was dem Engagement aus GBV, hbz, UB Leipzig und anderswo noch mehr Schwung verleihen dürfte und vielleicht auch für noch mehr Kolleg*innen erlebbar macht, wie kooperative Software-Entwicklung funktionieren kann.
Ein kürzlich erschienenes Empfehlungspapier von Ithaka S&R erinnert aber daran, dass die Entwicklung eines neuen Bibliotheksmanagement-Systems sich in allererster Linie an der Frage orientieren sollte, welche Dienste für Nutzer*innen von Bibliotheken damit ermöglicht werden sollten: "It's not what libraries hold, it's who libraries serve". Diese Erinnerung ist deswegen angebracht, weil die ursprüngliche Motivation von Folio (wie auch Alma et al.) gewesen sein dürfte, die Unzulänglichkeiten von Pica und Co. in Bezug auf die Verwaltung von elektronischen Ressourcen und den Statistik-Funktionen zu beheben – also eine Verbesserung für bibliothekarische Aufgabenerledigung zu erzielen.
Als ich noch Mitglied der FAG Lokale Geschäftsgänge im GBV war, habe ich an den Anforderungskatalogen für die einzelnen Module eines künftigen „Integrated Library Systems“ (ILS) mitgearbeitet und dabei über so manche Funktionalität (Abräumlisten für Vormerkregale) gestaunt. Inzwischen ist klar, dass Folio eine Plattfom mit einer Basisfunktionalität wird, in die die Bibliotheken – einzeln oder in Gemeinschaft – spezielle Funktionen integrieren können. Das bedeutet zum einen, dass in Bibliotheken eingeübt werden muss, wie man Anforderungen an Funktionen von Software formuliert, wie man diese testet etc. Es bedeutet aber auch, dass man darüber nachdenken muss, welche „Sonderlocken“ aus 25 Jahren Arbeit mit einem Erwerbungs- oder Ausleihmodul noch wirklich notwendig sind und wo man die verfügbaren Kräfte nicht vielleicht besser in solche Dienste steckt, die direkt den Nutzer*innen zugutekommen. Vielleicht sollte man noch einen Anforderungeskatalog aus Nutzer*innen-Sicht nachreichen?
Das Empfehlungspapier macht konkrete Vorschläge: Die Optimierung von Verfügbarkeitsinformationen zum Beispiel- hierzu erzählt das Papier User Stories von Studierenden, die an mehreren Hochschulen eingeschrieben sind, oder verteilt arbeitenden Forschungsgruppen. Auf Twitter wurde wurde kürzlich gefordert, dass ein ILS der Zukunft doch bitte Direktlinks zu SciHub generieren möge – die nachhaltigere Variante wäre wohl ein Link Resolving-Modul, das jedoch derzeit (noch) nicht geplant ist. Eine andere Idee ist die bessere Integration von Bibliotheks- mit den Systemen der Nutzenden, seien es Moodle oder DSpace – zum Beispiel durch ein Feed von persönlichen Literaturempfehlungen auf das eigene Dashboard. Ich bin nicht sicher, ob ich die Kollegin Swantje Dogunke richtig verstanden habe, die kürzlich schrieb, sie wolle „ aufgeben, wenn Bibliotheken so schlechte OPACs haben wie Netflix, Spotify oder Amazon“. Ich hoffe, sie meinte, dass es noch richtig viel zu tun gibt und vor allem richtig viel Potenzial, deutlich besser zu werden als so mancher Dienst aus Händen kommerzieller Anbieter.
Ein großer kommerzieller Dienst hat vergangene Woche aber auch eine Vorlage dafür geliefert, wie sich das mit vielen Erwartungen behaftete Feld des Forschungsdatenmanagements entwickeln wird. Google hat seine Dataset Search in den Produktivbetrieb aufgenommen, und es ist zu erwarten, dass dies der bevorzugte Sucheinstieg für Forschungsdaten wird, genauso wie Google Scholar bei der Literatursuche wichtiger ist als Discovery-Systeme lokaler Bibliotheken. Es wird Forschende interessieren, ob ihre Daten durch die Publikation in einem lokalen FDM-System auch über die Google Dataset Search auffindbar sein werden, und demgemäß die Anforderungen an Beratung einerseits und Interoperabilität der vorhandenen oder geplanten hauseigenen Systeme anderseits prägen.
Hallo Frau Christensen,
danke für die Blumen, dass wir als Macher*innen von swissbib innovative Ideen in die Community eingebracht haben, freut uns!
Ganz so untergehen, wie es auf den ersten Blick den Anschein hat, wird der swissbibspirit wohl (hoffentlich) doch nicht. Ein paar Tage nach Ihrer Wochenzusammenfassung konnte die Meldung publiziert werden, dass die Stiftung memoriav, zusammen mit der Universitätsbibliothek Basel, die Gesamterneuerung ihres nationalen Recherche- und Zugangsportals Memobase.ch gestartet hat (https://twitter.com/memoriav_ch/status/1227133102507601920). Der abgegebene und dann akzeptierte Lösungsvorschlag ist wesentlich von den Ideen und Möglichkeiten der Datenplattform hinter dem „grünen Gesicht“, der bekannten discovery Schnittstelle http://www.swissbib.ch geprägt.
Dies ist seit jeher der Hauptpfeiler des swissbib Projekts: Welche Fähigkeiten haben wir, unsere Daten so aufzubereiten, zu vernetzen oder in immer wieder neue Kontexte zu stellen, damit dies auf Interesse bei unseren bekannten und hoffentlich neuen Nutzergruppen stösst und ihnen auch von (neuem) Nutzen ist. So verstehe ich auch die Richtung Ihres Blogbeitrags.
Wie für uns die Komponenten moderner Datenplattformen aussehen (sollten) und woran wir weiterhin arbeiten werden (auch innerhalb des memobase Projekts), haben wir dieser Tage als Teil eines Moduls im Rahmen eines Studiengangs Bibliotheks- und Informationswissenschaften in Zürich vorgestellt. Bei Interesse, hier der link http://swissbib.org/doc/presentation/2020/PRAE_MAS-BIW_Komponenten-Datenplattformen_20200214.pdf zu unserer Präsentation.
Viele Grüsse aus Basel in den Norden
Günter Hipler
Lieber Herr Hipler,
das ist eine gute Nachricht, dass weder der swissbib-Spirit noch das Know-How verloren gehen werden – alles Gute für Memobase!
Die Folien Ihrer Präsentation lesen sich ja wie ein Praxislehrbuch für Data Librarians – sehr cool! Zu der Frage, ob es für Bibliotheken einen Mittelweg zwischen der Einstellung von Software-Entwickler*innen und dem Einkauf von kommerziellen Systemen gibt: Ich denke, auf jeden Fall, und lebe diesen Glauben seit Anfang des Jahres mit meinem Wechsel aus der Bibliothek zu effective WEBWORK, einem Dienstleister, der eben nicht „Bier“ verkauft“, sondern Zubehör und Know-How zum Selberbrauen. Nichtsdestoweniger hoffe ich, dass viele der Studierenden in Ihrem Seminar die Frage danach, ob sie sich ihr Berufsleben in dieser Sparte des Feldes vorstellen können, positiv beantwortet haben.
Schöne Grüße nach Basel
Anne Christensen