Ein Rück- und Ausblick
Bibliotheksgeschichtlich ist ein neues Jahrzehnt im Grunde nur ein Wimpernschlag – trotzdem aber eine gute Gelegenheit zum Innehalten: Was ist da passiert in den letzten Jahren, und was kommt? Ende der 1990er Jahren kamen viele Innovationen in schneller Folge: Web-OPACs, Bibliografien im Netz, virtuelle Fachbibliotheken. Die Nuller standen dann unter dem Zeichen der Orientierung dieser immer noch neuen digitalen Dienste an den Nutzenden und ihren diversen Endgeräten. Außerdem begann die Entwicklung von neuen Plattformen und Modellen für die Publikation von wissenschaftlicher Literatur. Im Jahrzehnt nach 2010 verfügen die meisten Bibliotheken über ein regelrechtes Ökosystem an „Lösungen“ für die Verwaltung ihrer Bestände und ihrer Präsentation, von denen einige kommerziell eingekauft, eine steigende Anzahl aber gemeinschaftlich durch Bibliotheken und externe Partner entwickelt wird. Openness wird zu einem zentralen und identitätsstiftenden Konzept für Bibliotheken, und sogar das hochkomplexe Bibliotheks-Managementsystem der jüngeren bibliothekarischen Vergangenheit wird als offene „Service-Plattform“ neu erfunden.
Was kommt als nächstes? Die forschungsnahen Dienste rund um Publikationsserver, Forschungsdatenarchivierung und -management sowie der jeweiligen Beratung dazu stehen weit oben auf der Agenda: Im Positionspapier "Wissenschaftliche Bibliotheken 2025" betreffen drei von acht Handlungsfeldern diese forschungsnahen Dienste. Und auch die Bibliothekar*innen selbst messen diesem Themenfeld hohe Bedeutung bei, wie die just zum Jahrsanfang veröffentlichte Befragung von 297 Mitarbeitenden aus deutschen wissenschaftlichen Bibliotheken von Stefan Kramer und Wolfram Horstmann zeigt. Die Herausforderung bei der Etablierung von forschungsnahen Diensten von Bibliotheken wird sicherlich sein, gemeinsam mit den Forschenden aus den bereits eingeschlagenen Trampelpfaden – Gruppenlaufwerke, kommerzielle Clouds – nachhaltige und den jeweiligen Nutzungsszenarien angemessene Lösungen zu entwickeln, die im Alltag der Forschenden Akzeptanz finden.
Dass sich das Informationsverhalten von Forschenden und Studierenden in mancherlei Hinsicht an den bibliothekarischen Diensten vorbei entwickelt hat, ist nicht von der Hand zu weisen. Die Argumente für die Nutzung eines bibliotheks- bzw. universitätseigenen Dienstes – sei es ein Daten-Repository oder ein Discovery-System – sind in der Regel vernünftig: Datensicherheit, Datenschutz, Nachhaltigkeit. Die Dienste selbst sind bisweilen jedoch einfach noch nicht überzeugend genug: Vielleicht ist das Repository zu sehr begrenzt auf die eigene Hochschule und die Kollaboration mit Forschenden anderer Institutionen funktioniert nicht. Oder das Discovery-System schickt die Studentin zu oft in die Wüste beim Klick auf den Link „Volltext“.
Die zitierte Studie von Kramer und Horstmann zeigt, dass die größte Sorge von Mitarbeitenden aus Bibliotheken die ist, mit den technischen Anforderungen Schritt zu halten und entsprechendes Personal zu finden. Nicht unberechtigt, aber: Die wichtigsten Kompetenzen, um den „neuen“ Herausforderungen zu begegnen, sind weniger technische, sondern zwischenmenschliche: Zuhören und Austauschprozesse moderieren können. Die Vorstellungen darüber, was ein „Must-have“ eines Discovery- oder FDM-Systems sind, sind bei Bibliothekar*innen, Nutzer*innen und IT-Entscheider*innen unterschiedlich. Aber es ist möglich, in Anerkennung dieser Unterschiedlichkeit einen Dienst zu konzipieren, der seine eigene lokale Bedeutung hat. Und dabei hilft eWW natürlich auch im neuen Jahrzehnt gern- auch in Form unseres neuen Blogs. Danke fürs Vorbeischauen!